Das neue Schuljahr ist wie ...

... hier sollte jetzt eigentlich was Intelligentes oder wenigstens was Witziges stehen. Das hat nicht funktioniert. Mir fällt nichts ein, womit ich die ersten Wochen des Schuljahres 2020/21 vergleichen kann. Trotzdem will ich hier einmal meine Gedanken sortieren.

Die ersten Wochen

Schulwoche 1 lief so normal, wie die erste Woche nach den Ferien halt laufen kann. Viel Organisatorisches, die neue Klasse kennenlernen, Klassleiterunterricht. Ich habe wieder eine 3. Klasse übernommen. Dieses Jahr ist es eine Ganztagsklasse, das heißt ich habe 2 Stunden pro Tag eine Erzieherin mit im Unterricht bzw. der Studierzeit (= Hausaufgabenersatz) und meine Klasse verbringt mehr Zeit in der Schule mit integriertem Hort als ich selbst. Das kenne ich schon aus den letzten Jahren, trotzdem ist es eine kleine mentale Umstellung.

In Schulwoche 2 und 3 werden zwei Klassen meiner Schule in Quarantäne geschickt wegen positiv getesteten Kindern. Für mich läuft die Schule weiter mit Präsenzunterricht, auch wenn Corona spürbar näher rückt. Das weckt in mir eine große Planungsunsicherheit und Nervosität. Ich versuche das meine Klasse und Familie nicht spüren zu lassen. Das klappt so mittelmäßig.

Am Montag von Schulwoche 4 kommt plötzlich die Nachricht, dass die Schule sofort komplett geschlossen wird wegen einer positiv getesteten Lehrkraft. Das kommt überraschend. Ich muss innerhalb kürzester Zeit einen Arbeitsplan für die Homeschooling-Woche erstellen, den Kindern alles erklären und mitgeben und alle Eltern anrufen. Stresslevel: 1.000.000! Zwischen all der Hektik merke ich, wie mein Kollegium sofort zusammenarbeitet: LOKs, Förderlehrer, JaS, uvm verteilen sich auf die Klassen um die Klassleiter zu unterstützen.

Schulwoche 5 heißt Homeschooling. So langsam gewöhne ich mich wieder ans Homeoffice und schaffe es, mir selbst eine Struktur zu geben. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass ich das nicht gut kann. Eine äußere Struktur hilft mir enorm, am Tag produktiv zu sein.

Während ich zuhause bin, denke ich viel nach. Ich frage mich, wie sehr die Kinder unter den Einschränkungen leiden. Macht es für sie einen Unterschied ob ich sage: "Ziehe deine Hausschuhe an." oder "Setze deine Maske auf."? Im Unterricht werden die Kinder sowieso oft ermahnt still zu sitzen und sich zu melden - jetzt müssen sie halt auch Abstand halten. Die Kinder machen im Unterricht mit ohne zu wissen, was sie gerade an Gruppenarbeiten und Projekten nicht machen dürfen. Das wissen wir als Lehrkräfte, aber nicht die Kinder. Auch die zwei Wochen Schulschließung finden viele Kinder nicht so dramatisch. Sie freuen sich zuhause zu sein. Ihre Freunde vermissen sie, die Schule nicht.

Und dann kam Schulwoche 6: Noch drei Wochen bis zu den Herbstferien. Endlich sehe ich meine Klasse wieder. Am Montag erfahre ich, dass ein Kind meiner Klasse Quarantäne ist, das muss ich nebenbei mit Aufgaben und Material versorgen. Am Dienstag wollen wir den Geburtstag einer Schülerin feiern. Sie bringt selbstgebackene Muffins mit. Ich darf sie nicht austeilen. Sie ist traurig, ich auch. Selbst das Geburtstag feiern geht nicht schön: Singen nur mit Maske, gratulieren nur mit Abstand. Fröhliche Gesichter sehen anders aus. Am Mittwoch erfahre, dass die Kita meiner Kinder wegen der Warnstufe gelb radikal umorganisiert wird. Geschwisterkinder kommen zusammen, Kindergartengruppen werden neu sortiert. Frisch eingewöhnte Kinder werden aus ihrer Gruppe und ihren Erziehern gerissen. Die vertrauten Strukturen schwinden. Meine Kinder stresst das, meine Frau hat zwei Stunden Krisensitzung mit dem Elternbeirat. Die Kinder leiden. Der Tag kann weg. Am Donnerstag habe ich meinen ersten Online-Elternabend über MS Teams. Viele Eltern waren da und ich erfahre viel Verständnis und Unterstützung. Ein Lichtblick in dieser Woche. Abends entdecke ich das Angebot einer örtlichen Brauerei, die Desinfektionsmittel mit Whiskey-Geruch (-Geschmack) anbieten. Gleich mal bestellen.

Im Hintergrund steigt die 7-Tage-Inzidenz weiter rasant. Im Jahrgangsstufenteam planen wir trotzdem die Zeit bis zu den Herbstferien. Am Freitag ist die magische Zahl 50 überschritten. Was kommt jetzt?

Schulwoche 7 und 8: Ich bin gespannt, was kommt. Maskenpflicht im Unterricht? Geteilte Klassen? Online-Unterricht bis Weihnachten und darüber hinaus? Wie sollen wir jetzt lernen, erziehen, Proben schreiben, für Eltern und Kinder da sein? Viele wichtige und unwichtige Fragen in meinem Kopf. Noch nie hat ein Schuljahr so turbulent angefangen, noch nie habe ich mich als Lehrkraft so unersetzbar und gleichzeitig so hilflos empfunden.

Was ist der Sinn des Präsenzunterrichts?

Ich stelle fest, dass Corona die Schule fest im Griff hat. Wenn Erwachsene privat feiern, müssen Kinder in der Schule Maske tragen. Wenn positive Fälle in einem Pflegeheim auftauchen, wird ein Kindergarten umstrukturiert. Mein Kopf kann mir die Zusammenhänge erklären, trotzdem kann/will etwas in mir es nicht verstehen.
Auf Twitter verfolge ich viele Diskussionen und lese Erfahrungsberichte aus ganz Deutschland. Lüften, Hände waschen, Abstand halten, Maske tragen, uvm scheinen einerseits den Unterricht stark zu beeinträchtigen, andererseits gehen vielen diese Maßnahmen nicht weit genug. Mir fällt es schwer an alles zu denken: Wann habe ich das letzte Mal gelüftet? Warum trägt das Kind hinten am Waschbecken keine Maske? Kann ich es aktuell wagen, die Kinder mit ihren Sitznachbarn zusammenarbeiten zu lassen? Wieviel Abstand sind 1,50m? Wo ist meine Maske? Wo ist mein Desinfektionsspray?
Was ist der Sinn des Präsenzunterrichts? Warum kommen die Kinder in die Schule? Nur damit die Eltern arbeiten gehen können? Wie kann ich meinen Unterricht planen und artikulieren, dass es für die Kinder ein Gewinn ist in der Schule zu sein? Was kann ich, was darf ich?

Innovation

Mit meinem Unterricht bin ich immer noch nicht zufrieden. Ich will weiter innovieren, Neues ausprobieren. Ich nutze jetzt MS Teams in meiner Klasse. Darüber bin ich mit den Eltern in engem Kontakt, bin ansprechbar, kann Unsicherheiten mindern, Material und Pläne schicken, Elternsprechstunden und -abende halten. Das genieße ich.
Ich bin immer noch auf dem Weg zum flipped classroom in der Grundschule. Ich habe viele Ideen, die ich ausprobiere. Meine Klasse ist da sehr offen dafür, die Kinder lassen sich darauf ein und wir überlegen gemeinsam, wie wir es besser machen können. Das macht echt Spaß, auch wenn nicht alles möglich ist. Gerade das soziale Lernen miteinander und voneinander, was ein so wichtiges Element des flipped classroom ist, wird gerade echt erschwert.
Der Einsatz meiner Klassentablets motiviert die Kinder gerade ungemein zum Lernen. Ich habe wieder mit dem Wort des Tages gestartet, womit ich nicht nur das Abschreiben von der Tafel und das Anfertigen von Hefteinträge übe, sondern viel Stoff aus der zweiten Klasse auffrische und übe. Gerade erstelle ich dafür auch keine Erklärvideos, sondern stelle die Lösung einfach als Bild(schirmfoto) zur Verfügung.
QR-Codes, Filby, Anton App und Book Creator sind weitere Punkte auf meiner Liste und natürlich tüftel ich weiter an meiner Sachaufgabenkartei.
Wenn ich dann meine Klasse beim Lernen beobachte, merke ich, wie sie sich entwickeln. Viele arbeiten sehr fleißig, probieren Neues aus, zeigen eine hohe Lernmotivation und ziehen andere mit. Es entstehen soziale Strukturen, in denen so viele Kinder produktiv lernen und arbeiten können, wo sich die Kinder so gut es geht gegenseitig unterstützen. Ich habe Zeit Kinder individuell zu fördern und gezielt Herausforderungen anzugehen. Corona wird mir das nicht verderben!

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