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Die Digitalisierung des Lehr-Lernprozesses im Kontext von Pädagogik und Didaktik

Ich beschäftige mich jetzt schon seit einigen Jahren mit dem Thema Digitalisierung in der Schule. Viel habe ich dabei von den tollen Kolleginnen und Kollegen im Twitterlehrerzimmer gelernt. Auch wenn ich dort eher zu den stilleren Teilnehmern gehöre, nehme ich doch vieles auf und denke viel darüber nach.

Lange Zeit standen bei mir digitale Tools und Ideen im Vordergrund. Welche Internetseite habe ich noch nicht ausprobiert, welche App noch nicht eingesetzt? Ist ein Windows-Tablet oder ein iPad besser für Grundschulkinder geeignet?

Doch mit der Zeit hat sich mein Fokus immer mehr verschoben. Inzwischen stehen weniger die Medien im Vordergrund, sondern wieder mehr die Kinder. Die Digitalisierung mit all seinen Chancen und Herausforderungen verknüpfe ich gedanklich mit Veränderungen in meinem Verständnis von zeitgemäßer Pädagogik und Didaktik.

Wie kann ich die Kinder auf ihre Zukunft, statt auf meine Vergangenheit vorbereiten?

Diese Frage beschäftigt mich gerade sehr. Klar ist, dass dabei die Digitalisierung des Lehr-Lernprozesses ein zentrale Rolle spielt, einfach weil die Kinder in einer durchtechnologisierten Welt aufwachsen, in der es keine Grenze mehr zwischen online und offline mehr gibt. Klar ist aber auch, dass ich da nicht stehen bleiben darf.

Gedanklicher Ausgangspunkt bilden für mich die 4K - Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Meinen Unterricht richte ich inzwischen zunehmend konsequent darauf aus. Im folgenden lege ich dar, wie sich das auf mein pädagogisches und didaktisches Arbeiten auswirkt.

Kommunikation

Damit die Kinder kompetent kommunizieren können, muss ich ihnen ein gutes Vorbild sein. Also bemühe ich mich sehr, stets freundlich und höflich zu sein, damit ich es auch von den Kindern einfordern kann. Daneben begründe ich den Kinder immer meine Entscheidungen und Regeln, damit sie diese nachvollziehen und sie akzeptieren können. Das hat zur Folge, dass ich die Kinder viel ernster und wichtiger nehme. Sie haben das Recht, dass ich mit ihnen offen kommuniziere und sie nicht autoritär von oben herab behandle mit Hilfe meiner standesgemäßen (Pseudo-) Autorität. Informationen gebe ich nicht nur an die Eltern weiter, sondern zuerst an die Kinder (denn sie betrifft es ja). Bei Verhaltensschwierigkeiten und Streitereien höre ich mir beide Seiten an und versuche zu verstehen, was bei den Kindern wirklich dahinter steckt, welche Ängste, Sorgen und Bedürfnisse sie haben und wie ich ihnen dabei weiterhelfen kann. Ich habe den Eindruck, dass die Kinder merken, dass ich sie wahrnehme, ernst nehme, sie mir wichtig sind.

Mein Umgang mit den Kindern färbt auf sie ab und hilft ihnen, ihrerseits freundlich, verständnisvoll und höflich miteinander zu kommunizieren - online wie offline.

Kollaboration

Zu Beginn meiner Lehrerlaufbahn hieß Kollaboration noch Gruppenarbeit. Heute ist es ein durchgehendes Unterrichtsprinzip bei mir. Die Kinder dürfen eigentlich so gut wie immer und bei jeder Aufgabe zusammenarbeiten. Nur in wenigen Ausnahmesituationen fordere ich Einzelarbeit ein. Die Kinder lernen so ihren Arbeitsprozess gemeinsam mit den anderen zu steuern, ihre Lautstärke zu regulieren, sich ihre Lernpartner auszusuchen und sich auf sie einzustellen.

Für meinen Unterricht hatte das große Auswirkungen. Die Kinder sind viel aktiver und produktiver. Gemeinsam macht es halt mehr Spaß und nur ganz selten macht Einzelarbeit wirklich Sinn. Im Klassenzimmer herrscht bei mir in der Regel eine produktive Unruhe. Die Kinder sind aktiv, unterwegs, stellen Fragen, lösen Aufgaben, schreiten auf ihrem Lernweg voran und profitieren dabei auf den verschiedensten Ebenen voneinander.

Meine Aufgabe besteht darin, die Kinder in ihrem Arbeiten und Lernen zu unterstützen und zu steuern. Ich habe den Überblick über ihre Lernwege und Förderbedarfe. Ich erkläre, helfe, gebe Anleitung und Material, bin Ansprechpartner und Förderer. Egal welchen Schritt ein Kind im Lernprozess gehen will, ich kenne digitale oder analoge Hilfen. Viele digitale Lösungen bieten signifikante Vorteile, sind aber vielleicht nicht immer erreichbar (kein Tablet mehr übrig) oder sinnvoll (enaktive, haptische Materialien).

Kreativität

Je länger ich Lehrer bin, desto mehr liebe ich die Kreativität der Kinder. Kreativ zu sein heißt dabei nicht, etwas komplett neues zu erschaffen. Es bedeutet vielmehr dass die Kinder etwas leisten, (er)schaffen oder lernen, was neu für sie ist. Dafür braucht es das passende Setting.

Zum einen brauchen die Kinder Freiheit und Offenheit. Sie brauchen Raum um sich entfalten zu können, ihre Stärken und Schwächen, ihre Ressourcen und Begabungen entdecken zu können. Diesen Raum muss ich ihnen im Unterricht zur Verfügung stellen. Die Kinder dann bei ihrer Entfaltung zu beobachten, sie neu kennen zu lernen und sie bei ihrer Entwicklung zu begleiten ist ein großer Schatz im Lehrberuf.

Während die Kinder kreativ sind und sich persönlich entfalten, beobachte ich sie sehr genau. Ich beobachte ihre Entwicklung, ihre Fortschritte, entdecke was ihnen Spaß macht und was ihnen wichtig ist. Ich merke mir, was sie interessiert und was sie motiviert. Sobald darüber ein Austausch entsteht, verändert sich die Beziehung zu den Kindern stark. Sie wird viel vertrauensvoller, offener und ebenbürtiger.

Digitale Tools regen zur Kreativität an und helfen bei der Umsetzung der Ideen. Spracheingabe unterstützt das kreative Texte schreiben, die AntonApp stellt auch schwere Aufgaben bereit, Zeichentools laden zum ausprobieren ein, ScratchJr. ermöglicht das Eintauchen in die Welt der Algorithmen, die Apps des mathlearningcenter helfen beim Überwinden von mathematischen Herausforderungen, uvm.

Kritisches Denken

Kritisches Denken heißt für mich zuerst einmal überhaupt selbst denken. Wie oft geben wir als Lehrkräfte den Kindern Denkrichtung, -geschwindigkeit und -inhalt vor? Wie oft erwarten wir von den Kindern genau das zu denken, was wir vorher zuhause geplant haben? Und wie oft sind wir wirklich offen für die Gedanken der Kinder? Wie oft fordern wir sie auf, selbst zu denken und geben ihnen auch den Raum dazu?

Es bedeutet für meinen Unterricht einige Veränderung den Gedanken der Kinder Raum zu schaffen, die Aufgaben so zu stellen, dass sie zum nachdenken und nicht nur zum reproduzieren animiert werden. Wie kann ich ihnen einerseits Anleitung und Hilfe geben Schwierigkeiten zu überwinden und den eigenen Gedankenwegen zu trauen und andererseits Offenheit gewähren, ihre Gedankenwege zu verstehen und nachvollziehen zu können?

Erst wenn die Kinder es gewohnt sind, ihren eigenen Verstand zu benutzen und ihren eigenen Gedanken zu trauen, können sie anfangen auch kritisch zu denken und Probleme mit Hilfe ihres erworbenen Wissens zu lösen.

Fazit

Zeitgemäßen Unterricht im Zuge der Digitalisierung zu entwickeln ist ein umfassenderer Prozess, der nicht nur darin besteht hübsche Apps und Websites einzusetzen oder Tablets im Klassenzimmer liegen zu haben. Digitalen Unterricht muss man größer denken und in einen Zusammenhang mit einer modernen Pädagogik und Didaktik setzen.

Zentral für mich sind eine bindungsorientierte Pädagogik, die offen für die Kinder mit ihren Interessen, Begabungen und Bedürfnissen ist, sich wirklich für sie interessiert und sich auf sie einstellt. Als Lehrkraft bin ich Bezugsperson und professioneller Wegbegleiter. Didaktisch steht für mich die Offenheit des Unterrichts an oberster Stelle. Nur in einem offenen Lernsetting können die Kinder anfangen selbst zu denken, kreativ zu sein, miteinander zu kommunizieren und zusammen zu arbeiten. Nur so finden die individuellen Interessen, Begabungen und Bedürfnisse der Kinder Raum und ich als Lehrkraft kann nur so die Kinder kennen lernen um sie zu begleiten und zu fördern.

Dieser bindungsorientierten Pädagogik und offenen Didaktik folgen fast automatisch Ideen für den sinnvollen Einsatz digitaler Tools. Fortbildungen können dann gezielter besucht und für den eigenen Unterricht adaptiert werden.

 

 

P.S. Ausführlicher und konkreter habe ich meine Überlegungen hier veröffentlicht: Flipped Classroom in der Grundschule (externer Link).

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