
Seit dem Erscheinen meines Buches sind inzwischen ein paar Monate vergangen, in denen ich nicht untätig war. Auch wenn ich das Konzept des Flipped Classroom in der Grundschule gründlich durchdacht habe, so profitiert doch die praktische Umsetzung von zunehmender Erfahrung.
Also habe ich in diesem Schuljahr viel ausprobiert, geplant, falsch gemacht und verbessert. Besonders meine Sequenzen in HSU habe ich genutzt um viele verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen. Es folgt eine Übersicht über meine Wege und Irrwege.
BookCreator App
Als sehr gewinnbringend hat sich in mehreren Sequenzen die App BookCreator erwiesen. Dort habe ich ganze Sequenzen im Voraus vorbereitet und den Kindern zur Verfügung gestellt. Die eBooks enthalten mehrere Abschnitte mit Erklärvideos, Aufgaben, Hefteinträgen, weiterführenden Links, etc.

Die Kinder können anhand des eBooks das gesamte Thema überblicken, einzelne Aspekte auch mehrmals anschauen und damit lernen. Die Hefteinträge im eBook sind Vorlage und Orientierung für die Hefteinträge im HSU-Heft. Auch im Klassenplenum kann ich Fragen gezielt herausgreifen, diskutieren und die Arbeitsergebnisse festhalten.
Das jeweils aktuelle eBook habe ich per Link veröffentlicht und so auch den Eltern zuhause zugänglich gemacht. Das hat die Transparenz meines Unterrichts erhöht und den Eltern geholfen zuhause die Themen aufzugreifen und für die Probe zu lernen.
Sequenzplanung
Als große Herausforderung hat sich der zeitliche Ablauf herausgestellt. Wann schauen die Kinder die Erklärvideos? Wieviel Zeit brauchen sie dafür? Wann erstellen sie den Hefteintrag? Müssen sie überhaupt einen Hefteintrag erstellen? Wann greifen wir das Thema im Unterricht auf? Wieviel Zeit brauchen wir dafür?
In diesem Bereich bin ich viele Irrwege gegangen, über viele Stolpersteine gestolpert. Ich habe den Kindern zu wenig Zeit für Video und Hefteintrag gegeben, zu schnell mit der Vertiefung, Anwendung, Problemlösung angefangen. Manchmal haben die Kinder gar keinen Hefteintrag gemacht, der später gefehlt hat. Manchmal waren die Hefteinträge viel zu ausführlich. Es war schwierig hier einen schönen Rhythmus zu finden.
Als besten Weg hat sich am Ende folgendes Vorgehen gezeigt:
Woche 1: Vorwissen abfragen und sammeln, in der Studierzeit (oder Wochenplan oder Hausaufgabe) das 1. Erklärvideo schauen und den Hefteintrag dazu erstellen
Woche 2: die Inhalte des 1. Erklärvideos im Unterricht aufgreifen und nachbereiten und in der Studierzeit (oder Wochenplan oder Hausaufgabe) das 2. Erklärvideo schauen und den Hefteintrag dazu
erstellen
Woche 3: das 2. Video nachbereiten und das 3. Video schauen samt Hefteintrag erstellen (analog den Vorwochen)
letzte Woche: Puffer einplanen, Quiz vorbereiten und spielen, gemeinsam wiederholen und lernen, Lernzielkontrolle schreiben
Manchmal ist es auch sinnvoll/nötig das Thema der kommenden Woche zum Beispiel mit einem Ausflug oder Versuch vorzubereiten.

Die zeitliche Entzerrung hat den Kindern Freiraum gegeben in Ruhe die Videos anzuschauen und sorgsam ihre Hefteinträge zu erstellen. Diese konnten dann zuverlässig als Grundlage für die unterrichtliche Weiterarbeit dienen.
Gestaltung der Hefteinträge
Während den Schulschließungen in Pandemiezeiten haben die Kinder meiner Klasse zwar viele Erklärvideos geschaut, jedoch konnte ich ihnen bei der Erstellung passender und ansprechender Hefteinträge kaum helfen. Das habe ich dieses Jahr gemerkt. Ich musste also mit meiner Klasse viel Zeit und Energie darauf verwenden, Kriterien guter Hefteinträge zu finden und einzuüben.
Manche Kinder haben versucht komplette Videos zu transkribieren. Selbst zu kurzen Sachverhalten hatten sie dann mehrere Seiten Hefteintrag - unübersichtlich, textlastig, demotivierend, anstrengend. Wir mussten also gemeinsam üben, ein Video mehrmals in Ruhe zu schauen, darüber nachzudenken und die Kernaussagen zu finden. Diese wiederum mussten in Stichpunkte umformuliert und bildlich unterstützt werden. Das war eine große Herausforderung für viele Kinder und sie sind noch lange nicht alle auf einem sicheren Stand.
Die Mühe hat sich aber gelohnt und die Hefteinträge wurden immer besser. Einige Kinder haben langsam verstanden, dass sie schöne Hefteinträge auch gerne anschauen und dadurch besser mit ihnen lernen können. Das steigerte ihre Motivation sich mehr Mühe mit der Gestaltung zu geben.
Sinnstiftende Unterrichtsgestaltung
Zentral wichtig beim Flipped Classroom ist ja, dass man die freigewordene Unterrichtszeit sinnvoll nutzt. Die gemeinsame Zeit im Klassenzimmer ist eine großartige Chance miteinander und voneinander zu lernen und zu profitieren. Die Themen können so vertieft und angewendet werden. Die anspruchsvollen aber bedeutsamen Bereiche Problemlösen und Transfer finden endlich Raum.
Doch wie so oft im Leben gilt auch hier: Leichter gesagt als getan. Ich habe wieder einmal viele (unnötige) Irrwege ausprobiert auf der Suche danach, wie ich meinen Unterricht sinnvoll (um)gestalten kann. Manchmal habe ich einfach die Inhalte der Videos nochmal mit der Klasse durchgesprochen (langweilig!!!) oder wir haben Verständnisfragen geklärt (GÄHN!!!). Es war schon fast ein Highlight, wenn ich die Schülerergebnisse in BookCreator mitgeschrieben habe.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als das Rad neu zu erfinden und Gruppenarbeiten einzuführen. Das war allerdings erst dann möglich, nachdem ich den zeitlichen Ablauf optimiert habe (siehe oben) und die Hefteinträge auch zuverlässig von allen angefertigt waren. In den Partner- und Gruppenarbeiten haben die Kinder dann sehr gewinnbringend und intensiv diskutiert, die Themen vertieft und anschließend ihre Ergebnisse präsentiert.
Mit der Zeit habe ich es auch immer besser verstanden, welche Aufgaben und Fragen anregend und zielführend die gelernten Themen aufgreifen, miteinander verknüpfen und vertiefen. Das konnten einfache Vorwissenssammlungen sein wie zum Beispiel: „Wozu brauchen wir Wasser? Wann ist es für uns gefährlich?“. Themenbereiche verknüpft habe ich mit Fragen wie: „In welchem Aggregatszustand ist das Wasser in den verschiedenen Niederschlagsarten? Woher kommt das Wasser im Niederschlag? Warum gibt es im Sommer keinen Schnee, aber Hagel?“ Gelerntes angewendet haben die Kinder mit Fragen wie: „Was kann ich tun, damit weniger Müll entsteht? Welches Kinderrecht findest du besonders wichtig und warum?“
Gewinnbringender Einsatz digitaler Medien
Natürlich werden im Flipped Classroom besonders hohe Ansprüche an den Einsatz digitaler Medien gestellt. Neben dem notwendigen Einsatz der iPads zum Schauen der Erklärvideos wollte ich aber noch mehr.
In den Gruppenarbeitsphasen haben die Kinder die iPads teilweise für kurze Recherchen genutzt. Dadurch wurden sie zusehends besser darin, zielführende Suchanfragen zu stellen und die Ergebnisse zügig auszuwerten.
Für die Präsentation der Ergebnisse habe ich verstärkt PowerPoint eingesetzt. Während ich in der 3. Klasse noch gerne den BookCreator nutze, ist es mir wichtig, dass die Kinder PowerPoint kennen und nutzen lernen. Das halte ich für eine grundlegende Kompetenz für die nächsten (Schul-)Jahre. Die Kinder sollen routiniert Folien erstellen, beschriften und ansprechend gestalten können. Auch die Präsentation vor der Klasse soll immer weniger Kindern schwer fallen. Es ist schön zu beobachten, wie die Kinder sich in diesem Bereich oft recht schnell entwickeln und dann auch eigene Präsentationen zu selbstgewählten Themen erstellen.
Die iPads an unserer Schule halten aber noch eine Vielzahl anderer Apps bereit, die die Kreativität der Kinder aktiviert. Neben StopMotion, Greenscreen, der Kamera und iMovie habe ich die Apps FlipaClip und ScratchJr. immer mehr zu schätzen gelernt. Beide eignen sich dafür kurze Geschichten oder Abläufe darzustellen und diesen dann als kurzes Video oder gif zu exportieren.

Als wir in HSU den Wasserkreislauf besprochen haben, gab ich den Kindern den Auftrag, diesen mit Hilfe einer selbstgewählten App anschaulich darzustellen. Wie immer bei mir waren die Ergebnisse sehr unterschiedlich und nicht jede Gruppe ist in der Kürze der Zeit fertig geworden. Während der Arbeitszeit ist mir aufgefallen, dass die Gruppen sich sehr intensiv mit dem Ablauf des Wasserkreislaufes beschäftigen müssen. Der Ablauf in der Natur ähnelt dem Algorithmus für die App. Und auch wenn manche sich in Details verloren haben, können sich die Ergebnisse doch sehen lassen.

An den Apps gefällt mir gut, dass die Kinder über das Thema nachdenken und miteinander ins Gespräch kommen können. Sie können und müssen kreativ werden. Sie werden dazu aufgefordert und herausgefordert sich nicht nur berieseln zu lassen, sondern aktiv zu werden. Schon jetzt habe ich viele Ideen, wie ich die Apps weiter einsetzen kann, zum Beispiel beim Fahrradunterricht (Links abbiegen!), Aufgaben und Ämter in einer Gemeinde, Kreislauf des Biomülls, Kalender und Jahreszeiten, etc.
Selbst in anderen Fächern ist ein Einsatz vorstellbar. Naheliegend ist natürlich der Kunstunterricht, aber auch in Mathe können die Kinder leicht selbst kleine Erklärvideos zum Zehnerübergang, Zahlzerlegung, schriftliche Rechenverfahren oder Achsensymmetrie erstellen.
In Deutsch könnten sie selbst Geschichten erfinden, diese aufschreiben und mit Hilfe einer App am iPad animieren. Sie können gelesene Geschichten oder Witze aufbereiten, Personen- und Vorgangsbeschreibungen kreativ umsetzen. Ich denke viele Kinder würden von der Multimedialität, der hohen Schüleraktivierung und den unterschiedlichen motorischen, sozialen und sensorischen Zugängen profitieren.
(Zwischen)Fazit
Es macht Spaß wieder in der Schule zu sein und mit den Kindern neues auszuprobieren. Es macht Spaß neue Wege zu erkunden, zu schauen was praktikabel ist und was nicht, aus Fehlern zu lernen und Lernender zu bleiben. Es ist schön Fortschritte zu sehen, sowohl bei den Kindern, als auch bei mir. Es tut gut, darüber nachzudenken, was sinnvoll, gut, gewinnbringend ist und was weg kann. So kann (und wird) es bei mir weitergehen.
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