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Kollegiale Hospitation 1

Mein Stundenplan ist dieses Jahr wieder so, dass ich jeden Mittwoch keinen Unterricht habe. Normalerweise nutze ich die Zeit um meine Fortbildungen vorzubereiten und zu halten. Aber natürlich ist auch mal Zeit für Besonderes.

Schon lange hege ich den Wunsch, einmal an weiterführenden Schulen zu hospitieren. Ich selbst bin ja nie in Bayern zur Schule gegangen und auch sonst ist mir die Sicht als Lehrkraft auf die Klassen 5-13 fremd. Trotzdem bin ich gezwungen, alle zwei Jahre Eltern und Kinder zum Übertritt zu beraten, obwohl ich von dem was kommt wenig Ahnung habe.

Also habe ich ein paar Gymnasien, Realschulen und Mittelschulen in Nürnberg angeschrieben und gefragt, ob ich mal zum hospitieren vorbeikommen dürfte. Erstaunlicherweise hat nur ein Gymnasium geantwortet und mich eingeladen. Innerhalb weniger Tage haben sich drei Kolleginnen bereiterklärt mich in ihren 5. Klassen zuschauen zu lassen.

In der ersten Doppelstunde war ich in Mathe dabei und habe gleich erstmal ein paar ehemalige Schülerinnen getroffen. Sehr eindrücklich in Erinnerung ist mir die Geschwindigkeit des Unterrichts geblieben. Der Stoff wird sehr schnell besprochen, Aufgaben bearbeitet, Merksätze aufgeschrieben, viele Fachbegriffe verwendet.

Während ich in der Grundschule auf jedes Kind schaue und versuche, dass jeder mitkommt, steht am Gymnasium der Stoff im Mittelpunkt. Es wird wenig Rücksicht darauf genommen, ob es jeder versteht und ob jeder aufpasst. Alle müssen selbst sehen, dass sie dem Unterricht folgen können und die Inhalte zur Not zuhause nacharbeiten.

In der nächsten Doppelstunde stand Englisch auf meinem Stundenplan. Überrascht habe ich hier festgestellt, dass der gymnasiale Englischunterricht dem Grundschulunterricht stark ähnelt. Der Unterricht findet nur auf englisch statt, die Schülerinnen und Schüler müssen viel aktiv selbst sprechen. Neben neuen, themenbezogenen Vokabeln werden "useful phrases" gelernt. Neben dem selbst sprechen und Hörverstehen werden auch schnell Hefteinträge angelegt.

Anders als in der Grundschule orientiert sich der gymnasiale Unterricht stark am Buch und dessen Inhalten, auch wenn die Themen ähnlich den Grundschulthemen sind (Konversation, Hobbies, GB und USA, Tagesablauf, Schulsachen, ...). Die Themen werden aber vertieft behandelt und mehr Vokabeln gelernt.

In der letzten Stunde war ich in Deutsch dabei. Es war "schön" zu sehen, dass auch die Fünftklässler um diese Uhrzeit unruhiger und unkonzentrierter wurden. Interessant fand ich, dass die Deutschbereiche stark verbunden wurden: Ein Text wurde gelesen, Stilmittel besprochen, eine Wortart wiederholt und eine Fortsetzung des Textes geschrieben.

Im Nachhinein sind mir einige Gedanken gekommen und Eindrücke hängen geblieben:

  • Neben dem hohen Tempo der Stoffvermittlung ist mir aufgefallen, dass Arbeitsaufträge nur einmal gesagt werden und dann wenig darauf geachtet wird, ob es alle gehört, verstanden und umgesetzt haben. Wichtige Informationen, Regeln und Hinweise kommen oft nur nebenbei und mündlich. Die Schülerinnen und Schüler müssen sehr aufmerksam sein, schnell verstehen und sehr selbstständig lernen. Der Unterricht ist darauf ausgerichtet, dass die Kinder zuhause lernen und üben.
  • Ich als Grundschullehrer habe im 2-Jahres-Takt 3. und 4. Klassen. Meine Kolleginnen und Kollegen an den weiteren Schulen haben eine viel größere Altersspanne von Kindern und Jugendlichen zu unterrichten. Ich habe großen Respekt davor, wie sie es schaffen, innerhalb von 15 Minuten Pause gedanklich von Fach 1 in einer 5. Klasse zu Fach 2 in einer 10. Klasse zu wechseln.
  • Die Lehrkräfte haben eine große Menge Stoff zu lehren, dadurch bleibt keine Zeit, sich um die Kinder zu kümmern und auf sie einzugehen. Vielleicht liegt das auch mit daran, dass sie viel mehr Klassen unterrichten und in viel mehr Jahrgangsstufen aktiv sind, die einen unterschiedlichen Grad an Unabhängigkeitsbestreben zeigen. In der Grundschule nehme ich viele Kinder als sehr zugewandt und interessiert war, während das Interesse im Laufe der Pubertät sich wohl stärker von der Schule (und den Lehrkräften) hin zur Peergroup verschiebt.
  • Einprägsam waren für mich die "hässlichen" Zimmer. An der Grundschule hat (fast) jedes Zimmer eine Klassenlehrkraft, die es füllt, einrichtet, dekoriert. Meine Klasse (und ich) legt viel Wert auf ein schönes Zimmer, in dem man sich wohlfühlt. Das ist am Gymnasium anders, für die Zimmer fühlt sich niemand zuständig. Es wird kaum dekoriert oder thematische Merkhilfe aufgehängt.
  • Lehrkräfte haben keinen richtigen Arbeitsplatz. In meinem Klassenzimmer habe ich ganz viel Unterrichtsmaterial, Bücher und meinen persönlichen Arbeitsplatz für mich eingerichtet. Dort kann ich in Ruhe arbeiten, korrigieren, vorbereiten (sobald die Kinder weg sind). Das gibt es am Gymnasium nicht. Die Lehrkräfte haben also nur soviel Material für die Fächer dabei, wie sie tragen können (Fachräume, z.B. für Naturwissenschaften sind sicher eine Ausnahme, aber die habe ich nicht gesehen). Vermutlich müssen sie auch viel zuhause arbeiten, weil in der Schule keine Arbeitsplätze für alle Lehrkräfte sind.
  • In der Grundschule unterrichten (fast) alle Lehrkräfte die gleichen Fächer. Dadurch ist viel mehr fachlicher, didaktischer und pädagogischer Austausch möglich.

Ich bin mir bewusst, dass meine Eindrücke nur auf einem Besuch aufbauen und nicht alle Kolleginnen und Kollegen an allen Gymnasien repräsentieren. Ich weiß, dass es woanders anders läuft und ich nur einen kurzen Eindruck bekommen habe. Alle meine Gedanken sind auf keinen Fall (ab-)wertend gemeint, sondern rein deskriptiv. Ich habe durch meinen Besuch die Arbeit am Gymnasium ein bisschen kennengelernt und gesehen, wie fordernd und anders sie ist. Ich habe großen Respekt vor allen Kolleginnen und Kollegen am Gymnasium und kann gut verstehen, warum sie sich für diese Schulart entschieden haben.

Ich hoffe sehr, dass ich noch die Chance bekomme, einmal an einer Realschule und einer Mittelschule zu hospitieren, um ein bisschen vergleichen zu können. Schließlich muss ich meine 4.Klässler auf alle drei Schularten vorbereiten.

Ich bin glücklich an der Grundschule und dort am richtigen Platz.