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Medien - Didaktik - Pädagogik

Wo stehe ich gerade und wie bin ich dahin gekommen?

Wenn ich mich richtig erinnere, begann alles vor vielen Jahren, als die Nachricht in meinen Newsfeed gespült wurde, dass Jan-Martin Klinge mit seinem halbtagsblog einen Preis gewonnen hat. Neugierig geworden begann ich diesen zu lesen. Immer mal wieder erwähnte er das Twitterlehrerzimmer, was mich aufhorchen ließ und ich wurde Teil desselben.

Erst las ich nur mit und likte und retweetete ab und zu etwas. Doch ich dachte viel über das nach, was ich da las und vieles sprach mich an. Während einer Blogparade von Bob Blume wurde ich dann aktiver Teilnehmer im #twlz.

Medieneinsatz

Anfangs war ich wieder Jäger und Sammler - nur diesmal digital. Ich sog alle Ideen, Denkanstöße, Impulse und Kontroversen auf, dachte darüber intensiv nach entwickelte allmählich ein eigenes Verständnis von zeitgemäßem Unterricht. Ich war jetzt aktiver, antwortete auf Tweets und twitterte selbst. Ich wollte meine Gedanken und Ideen teilen, so amateurhaft und naiv sie auch waren.

Ich sammelte digitale Tools, lernte ständig neues kennen und überlegte wie ich es im Unterricht einsetzen kann. Diese riesigen Appsammlungen fand ich toll - für jedes Problem eine App. Mein Wissen wuchs schneller als mein Können, denn Entwicklung braucht Zeit.

Es war eine wilde Zeit in meinem Unterricht. Ich war ein Jahr ohne Klassenführung und probierte hemmungslos und begeistert alles aus, was ich im Internet entdeckt hatte - learningapps, kahoot, plickers, bookcreator, qr-codes, Thinglink, padlet und so viel mehr. Ich schaute, wie es sich umsetzen ließ, wieviel Aufwand es machte und was am Ende dabei rauskam. Mit der Zeit ging diese Explorationsphase zu Ende und es blieben nur ein paar wenige vielfältig einsetzbare Lieblingstools übrig.

Didaktik

Es wurde Zeit von der Breite in die Tiefe zu gehen. Meine wachsende eigene Erfahrung und der Austausch im Twitterlehrerzimmer machten mir deutlich, dass ich meinen Unterricht nicht einfach nur um ein paar lustige Spielereien planen konnte. Ein sinnvolles, stimmiges und umfassendes didaktisches Konzept musste her.

Ich habe mein Konzept im Flipped Classroom gefunden, den ich für die Grundschule adaptierte und so an meine Bedürfnisse und Erfahrungen in der Grundschule anpasste. Ich überlegte mir an welchen Grundsätzen und auf welche Ziele hin ich meinen Unterricht und mein pädagogisches Handeln ausrichten will. Der Flipped Classroom ist für mich das Konzept, was zu meiner Lehrerpersönlichkeit passt und welches ich authentisch und überzeugt vertreten kann.

Jetzt konnte ich meinen Medieneinsatz sinnvoller und zielgerichteter gestalten. Ich musste zwar immer noch viel neues ausprobieren, aber es lief schon deutlich besser. Ich hatte Reflexionskriterien, an denen ich Erfolg oder Misserfolg messen und mich weiterentwickeln konnte. Ich brannte kein innovatives Medienfeuerwerk mehr ab, sondern gestaltete meinen Unterricht langfristig und ganzheitlich neu.

Viele weitverbreitete und beliebte Tools, wie z.B. taskcards, learningapps, kahoot, etc. setze ich gar nicht ein, weil ich sie nicht brauche und sie nicht in meinen Unterricht passen. Nicht alles läuft digital, ich arbeite auch mit Mathebuch und Arbeitsblättern. Digitale Medien fügen sich unauffällig und stimmig in den Unterricht ein um zu erklären, zu veranschaulichen, zu informieren, zu kollaborieren, zu recherchieren, zu üben, zu kommunizieren, sich kreativ auszuprobieren.

Während ich innerlich schon den nächsten Schritt gehen, wird mir gerade sehr deutlich bewusst, dass das Twitterlehrerzimmer eine Expertenbubble ist. Die Diskussionen und der Austausch finden auf einem hohen Niveau statt, die gestellten Fragen und Lösungen sind schon weit fortgeschritten. Wenn ich mich an meiner und anderen Schulen umschaue und -höre merke ich, dass sehr viele Kolleginnen und Kollegen noch lange nicht an den Punkten sind, über die auf Twitter & Co (schon wieder nicht mehr) diskutiert wird.

Das ist einerseits in Ordnung, es braucht Vordenker und Vorreiter. Trotzdem sollte uns bewusst sein, dass an den Schulen noch viele andere große Herausforderungen zu bewältigen sind. An meiner Schule spielt die Digitalisierung trotz all meiner Bemühungen neben Inklusion, Ganztag, Lehrermangel, außerschulischen Kooperationen, Musik- und Theaterprojekten, etc. nur eine geringe Rolle.

In meiner Funktion als Referent für digitale Bildung soll ich meine Fortbildungen hauptsächlich "Für Einsteiger und Entdecker" anbieten, also für all die vielen Kolleginnen und Kollegen, die noch nie etwas von den 4K, zeitgemäßem Unterricht, SAMR, etc. gehört und von Medienpädagogik keine Ahnung haben.

Pädagogik

Währenddessen betrete ich schon den nächsten Weg. Ich merke wie die Umgestaltung meines Unterrichts auch zu einem pädagogischen Umdenken führt. Die Kompetenzen, die ich den Kindern vermitteln will, die Ziele, die ich mit ihnen anstrebe, die Werte, die ich ihnen vorleben möchte - all das braucht eine (für mich) neue pädagogische Sichtweise.

So versuche ich meinen Unterricht und mein pädagogisches Handeln ohne jegliche Form von Gewalt zu gestalten. Kein Anschreien, runter-machen, entwürdigen, konditionieren, strafen und demütigen. Was erstmal selbstverständlich klingt, offenbart sich bei genauem Hinschauen als ziemlich ungewohnt/schwierig.

Wie weit verbreitet ist es, Kinder mittels klassischer und operanter Konditionierung gefügig zu machen? Wie oft werden Kinder angeschrien und bestraft, wenn sie sich nicht an die Regeln halten? Wie oft wird mit schlechten Noten, Posthefteinträgen oder gar Verweisen gedroht?

Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass das kein angemessenes Verhalten mehr für professionelle Pädagogen ist. Es braucht ein Umdenken. Macht und Autorität besteht nicht (mehr) darin, die Kinder zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollen. Es geht doch vielmehr darum, die Kinder davon zu überzeugen, das gleiche zu wollen, wie ich.

Der Schlüssel dafür ist für mich eine bindungsorientierte Pädagogik - eine Pädagogik der Beziehungen. Die Lehrer-Schüler-Beziehung soll nicht länger geprägt sein von Druck, Angst, Hierarchie und Machtspielen. Ich will eine feinfühlige, würdigende, respektvolle Beziehung zu den Kindern meiner Klasse (Schule), die Empathie vorlebt, Bedürfnisse wahrnimmt/ ernst nimmt/ erfüllt und das Klassenzimmer zu einem angstfreien, vertrauensvollen, motivierenden und kreativen Raum werden lässt.

Um mich in dem Bereich fortzubilden habe ich mehrere Bücher gelesen: Von Jesper Juul über Remo Largo bis hin zu Baer/Koch. Gerade das Buch über pädagogische Beziehungskompetenz der beiden Letztgenannten hat mich sehr zum nachdenken und umdenken angeregt (Klare Empfehlung!)

Im Wesentlichen geht es um die Frage, wie ich die (unvermeidbaren) Lehrer-Kinder-Beziehungen qualitativ gestalten will. Wie kann ich feinfühlig auf die Kinder reagieren, ihre Bedürfnisse wahrnehmen, ihnen Beziehungsangebote machen und ihre Beziehungsangebote annehmen und ihnen das Gefühl für sich selbst vermitteln, dass sie wertvoll sind, egal was sie leisten oder wie sie sich verhalten.

Auch wenn die Kinder mit zunehmenden Alter immer selbstständiger werden, sind doch sichere Beziehungen zu Erwachsenen immer bedeutsam um positive Beziehungserfahrungen zu sammeln und sichere Bindungsmuster zu entwickeln.

Pädagogische Beziehungen sind schwierige und komplexe, lebendige und agile Prozesse. Die dafür notwendige Feinfühligkeit und Beziehungskompetenz kann auch von uns Erwachsenen noch erlernt werden, unabhängig davon, welche eigenen Bindungserfahrungen wir gemacht haben.

Und wo soll das noch hinführen?

Ich bleibe weiter unterwegs. In meinem Denken und Handeln braucht es noch viel Entwicklung und Aufarbeitung. Mein Ziel ist ein gewaltfreier, würdigender, feinfühliger, respektvoller Umgang mit den mir anvertrauten Kindern, der ihre Grenzen achtet statt sie zu überschreiten, der Ambivalenzen aushält und die Kinder als das wahrnimmt, was sie sind: wertvolle und würdevolle Menschen.

Dieses und ähnliche Themen werden mich wohl noch eine ganze Weile beschäftigen und sich auf meinen Unterricht und mein pädagogisches Handeln auswirken. Ich bin gespannt, wohin mich die Reise noch führen wird.

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