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Verantwortung

Ich trage die Verantwortung für die Kinder meiner Klasse. Jedesmal, wenn ich eine neue Klasse übernehme, übernehme ich bewusst auch die Verantwortung für ihr Verhalten, ihr Lernen, ihre Entwicklung. Natürlich bin ich mir bewusst, dass nicht ich allein diese Verantwortung tragen muss, sondern dass auch Kolleg:innen, das soziale Umfeld der Kinder und die Kinder selbst einen Teil der Verantwortung mit tragen. Aber im Rahmen meiner Möglichkeiten und des Systems bin ich mir meiner Verantwortung sehr bewusst. Im Alltag zeigt sich das an verschiedenen Stellen.

 

Verhalten

 

Als Lehrkraft ist es meine Aufgabe die Kinder meiner Klasse zu erziehen. Ich muss sie belehren, Regeln für das soziale miteinander nicht nur einmal besprechen sondern konsequent auch die Einhaltung einfordern und sie motivieren, sich rücksichtsvoll und respektvoll allen gegenüber zu verhalten. Meistens ist das normale Alltagsarbeit.

Schwieriger wird es natürlich, wenn mal was nicht so läuft, es zu Streit oder Fehlverhalten kommt. Dann muss ich sensibel Gefühle regulieren, einfühlsam Perspektiven verstehen und zu würdevollen Lösungen anleiten. Dabei muss ich mich selbst gut im Griff haben, darf keinem Adultismus erliegen und muss meine geforderten Regeln auch selbst einhalten und vorleben. Wenn ich ein authentisches Vorbild vorlebe, halten sich die Kinder viel öfter auch selbst bereitwillig an die Regeln. Eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung fördert spürbar das positive Verhalten der Kinder und reduziert Konfliktsituationen.

Manchmal gibt es auch seltene Ausnahmefälle, wo ein Kind ein so starkes Fehlverhalten zeigt, dass ein pädagogisches Gespräch nicht mehr ausreicht und vielleicht sogar Ordnungsmaßnahmen ergriffen werden müssen. Das ist für mich spätestens dann der Fall, wenn ein anderes Kind in seiner Würde oder körperlichen Unversehrtheit bedroht oder verletzt wird, also zum Beispiel bei rassistischen Kommentaren, beleidigenden Hänseleien oder körperlichen Übergriffen. In enger Absprache mit den Eltern, meinen Klassenerziehrinnen, Kollegen und der Schulleitung suche ich dann nach einer passenden Konsequenz. Dafür nehme ich mir Zeit, das muss nicht sofort geschehen. Wichtiger ist es, dass es zur Tat und dem Kind passt, weder übertrieben hart noch zu inkonsequent ist. Ich will ja niemandem schaden, sondern zum Leben in der Gemeinschaft erziehen.

Lernen

Als Lehrkraft trage ich natürlich die Verantwortung dafür, was die Kinder lernen. Gerade weil Studien immer wieder zeigen, wie abhängig in Deutschland die Schullaufbahn vom Elternhaus ist, gebe ich mir viel Mühe, es zumindest in meiner Klasse soweit ich kann zu minimieren.

Dafür beobachte ich die Kinder meiner Klasse sehr genau und versuche meinen Unterricht soweit zu öffnen und zu strukturieren, dass möglichst viele Kinder darin ihren Platz finden. Das erfordert viel Denkarbeit, Differenzierung, Kooperation und Variation. Manchmal schreibe ich dann eher sechs Pläne, als einen Plan für alle. Schmerzhaft wird mir hier aber immer wieder meine zeitlichen und energetischen Grenzen bewusst, die mir das Gefühl vermitteln nie genug machen zu können.

Ungefähr ein Drittel meiner Klasse läuft "normal", braucht also weder besondere Förderung, Zusatzangebote oder engere Struktur. Sie sind halbwegs selbstständig, lernen befriedigend gut und schnell und arbeiten im Unterricht je nach Jahres- und Tageszeit gut mit.

Das zweite Drittel braucht ein bisschen mehr. Sie lernen und verstehen schnell, sind fleißig und motiviert. Sie brauchen weniger äußere Struktur, weil sie sich selbst gut organisieren und motivieren können. Ihnen kann ich Zusatzangebote, Metaaufgaben, Transfer und Strategien anbieten.

Das letzte Drittel braucht besondere Förderung, viele Elterngespräche, viel Zuwendung im Unterricht, enge Strukturen für mehr Sicherheit, weniger oder leichtere Aufgaben, Förderpläne, LRS-Kurse, DaZ-Kurse, sonderpädagogische Förderung, Schulbegleitung, Nachhilfe, etc. 

Vom ersten Verdacht bis zum Start besonderer Förderung kann dann schon mal mindestens ein halbes Jahr vergehen, in dem ich das Kind gezielt beobachte, mit den Eltern spreche, Anträge stelle, Tests organisiere, Erklärungen abgebe, Zusammenarbeit koordiniere, Pläne erstelle, Material zusammenstelle, nach Förderung suche, die Eltern berate und die passende Hilfe für das Kind suche. Bei einem Kind pro Klasse ist das kein Problem, bei fünf Kindern mit verschiedenen Bedürfnissen, Defiziten und Förderbedarfen wird es anspruchsvoll.

 

Entwicklung

Solange ein Kind in meiner Klasse ist, solange kämpfe ich für dieses Kind und seine Chance auf eine gesunde Entwicklung und die bestmögliche Förderung. Darin sehe ich meine Aufgabe und Verantwortung, dafür arbeite ich eng mit vielen anderen zusammen.

Ärgerlich wird es für mich, wenn jemand, mit dem ich zusammenarbeiten will und muss, seinen Aufgaben nicht gewachsen ist, keine Verantwortung übernimmt und am Ende einem Kind mehr schadet als hilft. Ärgerlich für mich, weil mir dadurch viel Zusatzarbeit entsteht, aber vor allem ärgerlich, weil es das Kind nicht verdient hat. Ein großer Stresspunkt meiner Arbeit (vielleicht der größte?) liegt dann darin, meine Gefühle zu kontrollieren, mir nach außen nichts anmerken zu lassen und weiter für die Kinder zu kämpfen.

Manchmal bedeutet dieser Kampf auch, dass ich intensiv mit den Eltern über die weitere Schullaufbahn, Noten, Stärken und Bedürfnisse des Kindes und Erwartungen diskutiere. Nicht immer enden diese Gespräche zu meiner Zufriedenheit. Aber meistens arbeiten Eltern, Lehrkräfte, Schulleitung, Sonderpädagogin, Schulpsychologin, Beratungslehrerin und Schulamt respektvoll und zielführend zusammen, um das Beste für das Kind aus unserem Bildungssystem herauszuholen.

 

Warum schreibe ich diesen Blogeintrag?

Die letzten Wochen waren geprägt von meiner Verantwortung als Klassenlehrer. Ich musste schmerzhaft erfahren, wieviel Schaden verantwortungsloses Handeln anrichten kann, dass meine Verantwortung für ein Kind da endet, wo die Verantwortung der Eltern beginnt und dass manchmal politische Gründe schwerer wiegen als pädagogische Gründe. Ich nehme meine Verantwortung für die Kinder meiner Klasse sehr wichtig, bis sie nach zwei Jahren mein Klassenzimmer verlassen und nie mehr zurückkehren. Bis dahin sind sie die Kinder meiner Klasse und ich bin ihr Klassenlehrer.